Selbstbestimmungsrecht der Völker

Juni 12, 2024
Juni 12, 2024 keystofreedom

Selbstbestimmungsrecht der Völker

Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker, das sich weder in der UN-Menschenrechtserklärung noch in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten findet, ist, wie im UN-Sozialpakt, herausgehoben und in einem besonderen Teil den übrigen im Pakt behandelten Rechten vorangestellt.

Um die Aufnahme dieses Rechts in den Pakt hat es in den Organen der Vereinten Nationen heftige Auseinandersetzungen gegeben, bei denen sich schließlich die Befürworter einer Einbeziehung mit der Überzeugung durchsetzten, dass das Recht auf Selbstbestimmung als das fundamentalste Grundrecht Voraussetzung für alle anderen Rechte sei, zwar kollektiver Natur, aber von unmittelbarer Wirkung auf den einzelnen.

Nach mehreren Kompromissvorschlägen, das Selbstbestimmungsrecht in eine gesonderte Erklärung oder jedenfalls nur in die Präambel aufzunehmen, wurde schließlich der Text des Artikels 1, den eine besondere Arbeitsgruppe des 3. Ausschusses der Generalversammlung der Vereinten Nationen erarbeitet hatte, mit geringfügigen Änderungen angenommen.

Dabei ging man davon aus, dass Artikel 1 Abs. 1 des UN-Zivilpaktes das Selbstbestimmungsrecht als universelles Recht klarstelle, und daß der Begriff der Völker soweit wie möglich auszulegen sei. Dies ergibt sich auch aus Artikel 1 Absatz 3 des UN-Zivilpaktes, der die Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Achtung und Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung festlegt und dabei auch Gebiete ohne Selbstregierung und Treuhandgebiete anführt.

Artikel 1 Abs. 2 des UN-Zivilpaktes sichert die wirtschaftliche Seite des Selbstbestimmungsrechts durch das Recht auf freie Verfügung der Völker über ihre Naturschätze und Wirtschaftsquellen, auf das sich ferner noch Artikel 47 des UN-Zivilpaktes bezieht.

Artikel 1
(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.

(2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden.

(3) Die Vertragsstaaten, einschließlich der Staaten, die für die Verwaltung von Gebieten ohne Selbstregierung und von Treuhand gebieten verantwortlich sind, haben entsprechend den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.

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Richtlinie 7: Prinzip, daß kein Staat durch hoheitliche Maßnahmen Teilen seiner Bevölkerung die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturel- len Mindestexistenzbedingungen entziehen darf, was sie zum Verlassen des Staatsgebietes zu Lasten anderer Staaten nötigen würde.

Richtlinie 8: Prinzip, daß kein Staat durch hoheitliche Maßnahmen Teile seiner Bevölkerung als Gruppen nationalen, ethnischen, rassischen, religiö- sen oder sprachlichen Charakters diskriminierendarf, was sie zum Verlas- sen des Staatsgebietes zu Lasten anderer Staaten nötigen würde.

Richtlinie 9: Prinzip, daß alle Staaten eine innerstaatliche politische, wirt- schaftliche und soziale Ordnung anstreben, die keine Teile der Bevölkerung zum Verlassen des Staatsgebietes nötigt.
Richtlinie 10: Prinzip, daß alle Staaten bei Naturkatastrophen und ver- gleichbaren anderen unvorhersehbaren Notsituationen aufgerufen sind, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten Hilfe zu leisten, um die Entstehung von Flüchtlingsströmen zu vermeiden.

  1. 27  Art.55, 56 der UN-Charta sowie Präambel der Flüchtlingskonvention von 1951 (s.Anm.2).
  2. 28  Art.2, Abs.3 der UN-Charta.
  3. 29  Vgl. UN-Docs. A/Res/2131(XX) v.21.12.1965, deutscher Text: VN 2/1966 S.69;

    A/Res/2625 (Anm.25); im einzelnen dazu Verdross/Simma (Anm.16),

    S.248ff.

  4. 30  Entspricht fast wörtlich Art.13 Abs.2 der Allgemeinen Erklärung der Men-

    schenrechte, vgl. auch Anm.10.

  5. 31  Vgl. z.B. Art.2 des Übereinkommens über die Verhütung und Bestrafung des

    Völkermords v. 9.12.1948, Art.3 des Übereinkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge v. 28.7.1951, Art.27 des Internationalen Pakts über bürgerli- che und politische Rechte v. 19.12.1966.

  6. 32  Verdross/Simma (Anm.16), S.583.
  7. 33  Zum Schutz der Menschenrechte durch das Völkerrecht vgl. z.B. Verdross/

    Simma (Anm.16), S.599ff.; zu den damit verbundenen Auswirkungen auf das Gewalt- und Interventionsverbot sowie den Friedensbegriff der UN-Charta vgl. im einzelnen Michael Schaefer, Die Funktionsfähigkeit des Sicherheits- mechanismus der Vereinten Nationen, Berlin-Heidelberg-New York 1981, S.16ff., S.355ff.

  8. 34  Zum Umfang des Interventionsverbots vgl. Verdross/Simma (Anm.16), S.248ff., sowie Anm.33.
  9. 35  Vgl. UN-DocA/36/582, S.91
  10. 36  Vgl. UN-DocsA/36/582, S.37 (Großbritannien) und A/36/582/Add.l v. 20.11.

1981, S.4 (Schweden).
37 Vgl. UN-DocA/36/582, S.39; diese Position wurde auch von Sierra Leone in

einem inoffiziellen Arbeitspapier vertreten.
38 Vgl. i m einzelnen UN-DocA/36/582, S.25f.
39 Australien (UN-DocA/36/582, S.7).
40 China (UN-DocA/36/582, S.12).
41 Katar (UN-DocA/35/582, S.36).
42 Sierra Leone (sAnm.37).
43 So insbesondere auf der 35. Generalversammlung, vgl. UN-DocA/SPC/35/

SR.44, S.9.
44 Z.B. Dänemark (UN-DocA/36/582, S.13), Frankreich (A/36/582, S.17), Nieder-

lande (A/36/582, S.33).
45 Vgl. Resolutionen 30(XXXVI) v.11.3.1980 und 29(XXXVII) v. 11.3.1981 der

Menschenrechtskommission sowie A/Res/35/196 v. 15.12.1980.
46 Resolution 30(XXXVI) der Menschenrechtskommission, operativer Teil,

Ziff.3.
47 Begrifflich werden darunter im Unterschied zu grenzüberschreitenden

Flüchtlingsströmen Fluchtbewegungen innerhalb eines Staatsgebiets ver-

standen.
48 Resolution 29(XXXVII) der Menschenrechtskommission, operativer Teil,

Ziff.2-7.
49 UN-Doc.E/CN.4/1503 v. 31.12.1981.
50 Vgl. insbesondere den Empfehlungsteil der Studie, E/CN.4/1503, (i)f.
51 Dazu: VN 1/1982 S.30.
52 Zur jeweiligen nationalen Gesetzgebung über die Bestimmung des Flücht-

linsstatus vgl. den Bericht des UNHCR, UN-DocA/AC.96/INF.152/Rev.3

v. 7.9.1981.
53 Vgl. Anm.35,36.
54 So z.B. Kuba (A/SPC/36/SR.45, S.17; A/36/582/Add.l, S.2); Laos (A/SPC/36/

SR.44, S.5); Madagaskar (A/SPC/36/SR.45, S.16).
55 So z.B. Australien, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien oder

Niederlande, vgl. im einzelnen A/36/582.
56 Vgl. Anm.21.
57 Vgl. Anm.54.
58 Vgl. dazu z.B. Gudrun Lachemann/Uwe Otzen,

Die Weltflüchtlingsproblematik — eine Herausforderung für die Entwicklungspolitik, Berlin (Veröffentlichung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik) 1981, S.21ff. 59 Im einzelnen dazu Schaefer (Anm.33), S.63, 365ff.

Der Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker in heutiger Sicht

HECTOR GROS ESPIELL

Die Wechselwirkung von Entkolonisierung und Völkerrechts- Völkerbundes war es im Völkerrecht ein unmittelbar mit dem

entwicklung wird am Beispiel des Selbstbestimmungsrechts der Völker besonders deutlich, wie aus dem folgenden Beitrag des früheren Sonderberichterstatters der Menschenrechts-Unter- kommission hervorgeht. Ausführlich mit dem Selbstbestim- mungsrecht hat sich zuletzt in dieser Zeitschrift Jost Delbrück (Das Selbstbestimmungsrecht der Völker im Völkerrecht der Ge- genwart Bemerkungen zum Stand der Diskussion, VN 1/1977

S.6ff.) befaßt.

Sowohl in meinem Berieht >Das Selbstbestimmungsrecht. An- wendung der Resolutionen der Vereinten Nationen^ für die Un- terkommission zur Verhütung von Diskriminierung und für Minderheitenschutz der Vereinten Nationen als auch in mehre- ren in den letzten Jahren erschienenen einschlägigen Veröffent- lichungen2 habe ich die hauptsächlichen Bestandteile und Ei- genheiten dieses Rechts in Theorie und Praxis der Gegenwart untersucht. Der vorliegende Aufsatz soll in zusammengefaßter und knapper Form meine Schlußfolgerungen darlegen. Auf ei- nen ausführlichen bibliographischenundAnmerkungsteilist da- bei verzichtet worden. Hierzu verweise ich auf meine vorherigen Veröffentlichungen, insbesondere auf den Bericht für die Ver- einten Nationen3 .

I. Die heutige Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Völker

Um zu einer Bestimmung des heutigen Wesensgehalts des Be- griffs der Selbstbestimmung zu gelangen, ist es erforderlich, den gewaltigen Wandel zu verstehen und zu bewerten, dem dieses Konzept in den letzten Jahren unterworfen war. Zu Zeiten des

Nationsbegriff verbundenes Prinzip. Es fand vorzugsweise oder fast ausschließlich in Europa Anwendung und schloß den Kolo- nialismus gegenüber Afrika,Asien und Lateinamerika durchaus nicht aus. I m Wortlaut der Charta der Vereinten Nationen wurde der Grundsatz der Selbstbestimmung lediglich zweimal erwähnt (in A r t l und 55). Ab 1952 jedoch, und besonders ab 1960 entwik- kelte sich das Selbstbestimmungsrec/U auf Grund der in der Or- ganisation geleisteten Arbeit4 zu einem Grundprinzipnotwendi- ger weltweiter Anwendung, zu einem Recht aller Völker und zu einer zwingenden Regel des Völkerrechts. So bewirkte es mit dem Niedergang des Kolonialismus und trotz einigen noch an- dauernden Restwiderstandes einen vollständigen Umschwung innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Für das heutige Völkerrecht und die gegenwärtige Völkerrechtsdoktrin ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker ein Grundprinzip, ein Recht der Völker unter kolonialer und anderer Fremdherrschaft und eine unabdingbare Voraussetzung für die Existenz und den Ge- nuß aller Rechte und Freiheiten des Menschen.

II. Die Selbstbestimmung als Recht der Völker unter kolonialer und anderer Fremdherrschaft

Das Selbstbestimmungsrecht ist von den Vereinten Nationen als ein Recht der Völker unter kolonialer und anderer Fremdherr- schaft ausgestaltet worden. Es bezieht sich nicht auf staatlich or- ganisierte Völker, bei denen koloniale und andere Fremdherr- schaft nicht vorliegt. Sowohl die Resolution 1514(XV) der Gene- ralversammlung5 wie auch andere Texte der Vereinten Nationen verurteilen jeden Versuch, die nationale Einheit und die territo- riale Unverletzlichkeit eines Landes ganz oder teilweise zu zer-

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stören.Wenn jedoch hinter einer vermeintlichen staatlichen Ein- heit sich inWirklichkeitkoloniale oder Fremdherrschaft in wel- cher Form auch immer verbirgt, so kann das Recht des unter- drückten Volkes nicht ignoriert werden, ohne daß damit ein Grundsatz des Völkerrechts verletzt wird.

Dieses Recht der Völker auf Selbstbestimmung erzeugt die Ver- pflichtung aller Staaten, es anzuerkennen und zu entwickeln. Die internationale Gemeinschaft hat nicht nur die rechtliche Verpflichtung, sich dem Selbstbestimmungsrecht nicht entge- genzustellen oder seine Ausübung nicht zu behindern, sondern vor allem die positive Pflicht, zu seiner Verwirklichung beizutra- gen, seine Ausübung zufördern undmitallen Mittelndazu bei- zutragen, daß die Völker unter kolonialer u n d anderer Fremd- herrschaft ihre Unabhängigkeit erreichen und daß diejenigen, die bereits durchAusübung ihres Rechts Unabhängigkeit genie- ßen, ihre volle unduneingeschränkte Souveränität praktizieren und ihre Entwicklung vorantreiben können. Aus diesen Aussa- gen ergeben sich besondere Konsequenzen i m Hinblick auf die Frage der Legitimität der Gewaltanwendung zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts unddie entsprechenden Solidari- tätsverpflichtungen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist von seinem Selbst- verständnisherkeinerleiBedingungen unterworfen.Soistesim besonderen seit der Resolution 1514 nicht mehr möglich, sich ihm mitdem unannehmbaren Hinweis zu widersetzen, ein Volk habe einen ausreichenden, i h m eine unabhängige Existenz ge- währleistenden Entwicklungsstand noch nicht erreicht. Völker unter kolonialer undanderer Fremdherrschaft sind daher Trä- ger von Rechten und Pflichten, die ihnen durch das Völkerrecht der Gegenwart zuerkannt sind. Sie besitzen Rechtspersönlich- keit undlassen sich inbezug aufdieAusübung ihrer Rechte und die Erfüllung ihrer Pflichten als Völkerrechtssubjekte begreifen. Auch die nationalen Befreiungsbewegungen, die i n einigen Fäl- len von den Vereinten Nationen als legitime Vertreter ihres Vol- kes anerkannt wurden, besitzen diesen Status.

Die Ausübung und Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker setzt eine freie u n d authentische Willensäußerung voraus. Dieses Recht, das aus Ziffer 2 der Resolution 1514 und aus der Deklaration über die völkerrechtlichen Grundsätze für freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten (Resolution 2625(XXV) der Generalversammlung6 ) fließt, istdurchdenInternationalenGerichtshof inseinem West- Sahara-Gutachten bestätigt worden und insofern von außeror- dentlicher Bedeutung, als es die Notwendigkeit beinhaltet, die Willensäußerung des Volkes durch eine Befragung herbeizufüh- ren, die alle Garantien der freien Meinungsäußerung in sich birgt. DievondenVereinten Nationen akzeptierten Ausnahmen, damit begründet, die Befragungen seien in konkreten Fällen nicht notwendig gewesen oder hätten speziellen Umständen un- terlegen, beeinträchtigen den Wert dieser Grundsatzaussage nicht. Ein Volk unter kolonialer und anderer FremdherrschaftkannseinenWillenineinemvonderKolonialmacht organisier- ten Referendum nicht frei äußern. Einzig und allein wenn die Willensäußerung des Volkes wirklich frei herbeigeführt worden ist, offenbart sich der politische Status des Volkes innerhalb der Völkergemeinschaft.

Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker un- ter kolonialer undanderer Fremdherrschaft beinhaltet als not- wendige Konsequenz die Ablehnung und Verurteilung des Kolo- nialismus in allen seinen Formen undAuswirkungen. Das Völ- kerrecht der Gegenwart bewertet den Kolonialismus als straf- bare Handlung, als ein ausdrücklich als solches gekennzeichne- tes völkerrechtliches Verbrechen.

den, u m zu verhindern, daß dem neuen Staat automatisch die noch aus seinem früheren Kolonialstatus herrührenden Ver- pflichtungen auferlegt werden. I n diesem Zusammenhang muß auch hervorgehoben werden, daß besonders seit der Resolution 1514 alle Ansprüche, auf welche die Souveränität oder die Herr- schaft über ein Kolonialgebiet gestützt wurde, erloschen sind, da sie das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker unter kolonia- ler und anderer Fremdherrschaft verletzen. Auf Grund der neuen Völkerrechtsordnung haben alle alten aus der Kolonial- zeit herrührenden Rechtstitel ihre Gültigkeit verloren.

III. Der politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wesensgehalt des Selbstbestimmungsrechts der Völker

Der gegenwärtige Selbstbestimmungsbegriff setzt sich notwen- dig auspolitischen,wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen In- halten zusammen. Wollte man dem Prinzip der Selbstbestim- mung nur einen politischen Aspekt zugestehen, so würde dies ei- ner einseitigen Bewertung undeiner Reduzierung seiner ihmin- newohnenden Bedeutung gleichkommen. Dieser umfassende Charakter des Selbstbestimmungsrechts der Völker ist aus- drücklich in zahlreichen Dokumenten der Vereinten Nationen niedergelegt, inbesonderer Weisejedoch indenInternationalen Pakten über wirtschaftliche, soziale undkulturelle Rechte bzw. über bürgerliche u n d politische Rechte. Die gleichlautenden Art.l dieser beiden Völkerrechtsinstrumente bestimmen:

»Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Frei- heit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung«.
Eine ähnliche Formulierungfindet sich auch inZiffer 2der Reso- lution 1514vomDezember 1960.Soistdem Selbstbestimmungs- recht der Völker durch die Vereinten Nationen ein umfassender Wesensgehalt zuerkannt worden, der die politischen, wirtschaft- lichen, sozialen undkulturellen Aspekte einschließt. Damit die- ses Recht seine volle Wirksamkeit entfalten kann, ist die Mitwir- kung aller u n d jedes einzelnen dieser Aspekte, die seinen We- sensinhalt ausmachen, erforderlich. Die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker besteht nicht nur in der Durchsetzung ihrer politischen Unabhängigkeit oder entspre- chender anderer staatlichen Formen, sondern auch i n der Aner- kennung ihres Rechts auf Aufrechterhaltung undSicherung ih- rer vollen politischen,wirtschaftlichen,sozialen und kulturellen Souveränität. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker besitzt Dauerwirkung.Eserschöpftsichnichtinseiner Initialausübung zur Durchsetzung der politischen Selbstbestimmung.

Bevor n u n der Wesensgehalt jedes einzelnen Aspektes des Ge- samtkonzeptes des Selbstbestimmungsbegriffs einer Prüfung unterzogen werden soll, muß noch einmal nachdrücklich hervor- gehoben werden, daß sie alle untereinander eng u n d unauflös- lich i n politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hin- sicht miteinander verflochten sind. Jeder Aspekt bedingt den an- deren, und seine Realisierung ist nur unter Berücksichtigung und Anerkennung der anderen möglich.

In politischer Hinsicht beinhaltet das Selbstbestimmungsrecht der Völker unter kolonialer und anderer Fremdherrschaft das Recht aufErreichungderUnabhängigkeit, aufVerbindung oder Zusammenschluß m i t einem anderen unabhängigen Staat oder auf Wahl anderer frei bestimmter Formen. Seine Realisierung kann nurdas Resultat einer freien Entscheidung des Volkes »in effektiver Ausübung seiner Souveränität gegen jede Hegemonie und Abhängigkeit« sein. Wo durch die Ausübung des Selbstbe- stimmungsrechts ein neues souveränes und unabhängiges Staatswesen entstanden ist, erwächst aus dem Selbstbestim- mungsrecht des neuen Staates selbst das Recht seiner Bürger auf freie Bestimmung des politischen Systems. So erschöpft sich das Selbstbestimmungsrecht nicht mit der Durchsetzung und Anerkennung der Unabhängigkeit oder der anderen möglichen Formen. Vielmehr wirkt es fort — zur Verteidigung und ständi-

Die Selbstbestimmung ist als grundlegende Norm des Völker-
rechts qualifiziert worden und hat als solche in die Erklärung
der Generalversammlung über freundschaftliche Beziehungen
Aufnahme gefunden. Ihre Bedeutung für das Völkerrecht der
Gegenwart istenorm; sie wirkt sich heute praktisch auf alle Be-
reiche des Völkerrechts aus. So müssen beispielsweise in bezug gen Erhaltung dieser Unabhängigkeit als ein Ergebnis seiner auf die Staatennachfolge i nVerträgen neue Wege gefunden wer- Initialausübung.

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SeitMai1981istShahA.M.S.KibriaausBangladesch alsNachfolger desIndo- nesiers J. B. P. Maramis Exekutivsekretär der Wirtschafts- und Sozialkommis- sion für Asien und den Pazifik (ESCAP). Der 1931 i n Dacca geborene Diplomat spielte eine führende Rolle beim Aufbau des Auswärtigen Dienstes des unab- hängigen Bangladesch; 1976-78 war er Ständiger Vertreter seines Landes beim Genfer Büro der Vereinten Nationen und in dieser Zeit Vorsitzender der >Gruppe der 77< sowie des UNCTAD-Schiffahrtsausschusses. — Die 38.Tagung der ESCAP fand vom 23.März bis zum 3.April 1982in Bangkok statt.

Der wirtschaftlicheAspekt des Selbstbestimmungsbegriffs bein- haltet das Recht eines jeden Volkes, souverän undin Freiheit sein wirtschaftliches System selbst zu bestimmen. Dieser wirt- schaftliche Aspekt manifestiert sich vor allem in dem Recht auf ständige Souveränität über die eigenen natürlichen Ressourcen und berührt damit Probleme i m Hinblick auf Verstaatlichungen und Streitigkeiten, die sich aus der konträren Interessenlage der transnationalen Unternehmen und anderer ausländischer Inve- storen ergeben. I n zahlreichen Resolutionen der verschieden- sten Organe der Vereinten Nationen wurde dieses Recht auf die eigenen natürlichen Ressourcen bejaht u n d bekräftigt, beson- ders i m Hinblick auf die Verstaatlichung von Bodenschätzen i m Besitz ausländischen Kapitals. I n Übereinstimmung m i t den Grundprinzipien des Völkerrechts der Gegenwart istdie Zustän- digkeit der nationalen Gesetzgebung für die Vornahme von Ver- staatlichungen und die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die Entscheidung der daraus resultierenden Streitigkeiten anerkannt worden, es sei denn, der Staat hätte i n Ausübung sei- ner Souveränität bei der Verstaatlichung seiner natürlichen Ressourcen freiwillig eine fremde Jurisdiktion anerkannt. Den Völkern ist das Recht zuerkannt, sich der Plünderung ihrer na- türlichen Ressourcen durch die Kolonialmächte zu widersetzen. Von diesen Voraussetzungen aus sind vielfache Konsequenzen abgeleitet worden, u m ein Rechtsregime zu schaffen, das die Effektivität der völkerrechtlichen Selbstbestimmung sicher- stellt.

Zweifelsohne sind die wirtschaftlichen Aspekte des Selbstbe- stimmungsrechts nicht nurinbezug auf die Erlangung derUn- abhängigkeit der noch unter kolonialer und anderer Fremdherr- schaft stehenden Völker von größter Bedeutung. Auch i m Hin- blick auf die Wahrung undSicherung der erreichten Unabhän- gigkeit und Souveränität gegenüber den neuen Formen des Ko- lonialismus, die Ausbeutung und wirtschaftliche Abhängigkeit

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unter dem Deckmantel formaler staatlicher Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten suchen, haben die wirtschaftlichen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts eine dauernde Funktion gefun- den.

Der soziale Aspekt des Selbstbestimmungsprinzips beinhaltet das Recht eines jeden Volkes auf freie Bestimmung seines ge- sellschaftlichen Systems. Insbesondere umschließt er die Aner- kennung des Rechts auf Förderung der sozialen Gerechtigkeit, worunter i m weitesten Sinne das Recht eines jeden Bürgers auf effektiven Genuß seiner wirtschaftlichen und sozialen Rechte zu verstehen ist. I n verschiedenen Resolutionen der Generalver- sammlung ist dieser soziale Aspekt des Selbstbestimmungs- rechts hervorgehoben worden. I m besonderen sei dazu aber die >Erklärung über Fortschrittund Entwicklungim Sozialbereich< (Resolution 2542(XXIV) v o m 11. Dezember 1969) erwähnt, die als eine der Grundvoraussetzungen für Fortschritt und Entwick- lung »die nationale Unabhängigkeit auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker« proklamiert. Die Texte der Vereinten Nationen, die sich auf die wirtschaftlichen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts beziehen, wie insbeson- dere die internationale Entwicklungsstrategie für die Zweite Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen<, die Resolutionen zur Neuen Weltwirtschaftsordnung und die >Charta der wirt- schaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten7 sprechen dem so- zialen Inhalt des Entwicklungsbegriffs unddemzufolge den so- zialen Aspekten des Selbstbestimmungsrechts ausdrücklich oder stillschweigend eine besondere Bedeutung zu. Das Konzept der Entwicklung ist nicht mit bloßem Wirtschaftswachstum gleichzusetzen, sondern umschließt auch den Grundsatz der so- zialen Gerechtigkeit und istheute ohne effektive Respektierung des Selbstbestimmungsrechts der Völker undenkbar.

Der kulturelle Aspekt des Selbstbestimmungsrechts beinhaltet das Recht aller Völker auf Wiedergewinnung, Erhaltungund Be- reicherung ihres kulturellen Erbes, d.h.auffreie Bestimmungih- rer kulturellen Lebensformen. Die Wirksamkeit des kulturellen Aspektes des Selbstbestimmungsprinzips manifestiert sich i n dem Recht aller Bürger auf Erziehung und Zugang zu ihrer Kul- tur. Auch von daher ist es unerläßlich, daß sie sich ihrer Rechte bewußt werden u n d bereit u n d fähig sind, sich für deren Aner- kennung und Durchsetzung einzusetzen. Die Deklaration über die Grundsätze der internationalen kulturellen Zusammenar- beit der UNESCO-Generalkonferenz vom 4.November 1966 be- kräftigt die Rechte und Pflichten eines jeden Volkes auf Ent- wicklung seiner kulturellen Werte, wobei in ihrer Präambel auf die wesentlichsten Resolutionen der Vereinten Nationen i m Hin- blick auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker ausdrücklich Bezug genommen wird. Durch die Resolu- tion 3148(XXVIII) der Generalversammlung der Vereinten Na- tionen vom 14.Dezember 1973 über Erhaltung und Weiterent- wicklung der kulturellen Werte sind schließlich die kulturellen Aspekte des Selbstbestimmungsrechts noch näher präzisiert und ausgestaltet worden.

IV. Selbstbestimmung und Jus cogens

Die außergewöhnliche Bedeutung des Selbstbestimmungsprin- zips i m Völkerrecht der Gegenwart erlaubt es, dieses Prinzip als Jus cogens anzusehen, als »zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts«, wie der Wortlaut des Art.53 der Wiener Vertrags- rechtskonvention lautet.

Schon 1963 hatte die Völkerrechtskommission in ihrem Kom- mentar zum Entwurf des Art.37 über das Recht der Verträge in Erwägung gezogen, das Selbstbestimmungsprinzip als Bei- spielsfall für Jus cogens zu nennen. Sie entschied sich dann je- doch, keine Beispiele für Jus cogens in den Vertragswortlaut selbst einzufügen, u n d so beschränkte sich die Erwähnung des Selbstbestimmungsprinzips lediglich auf den Bericht. Bei Über- leitung von Art.37 i n Art.50 des neuen Entwurfs wiederholte die Kommission ihre frühere Auffassung. Bei der Diskussion des Entwurfs der Völkerrechtskommission i m 6.Hauptausschuß der

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Generalversammlung unterstützten mehrere Redner die Auffas- im Jahre 1976im Zusammenhang mitdem von mir vorzuberei- sungvomJus-cogens-Charakter derSelbstbestimmung.Ähnli- tendenBericht,indemichmichfürdieZurechnungdesSelbst-

bestimmungsprinzips zum Jus cogens ausspreche, dieselbe An- sicht vertreten. In meinem Bericht für die Vereinten Nationen habe ich zum Ausdruck gebracht, daß ich meine Einstellung nichtverbergen sollte,daßJuscogensaufderAnerkennungder Existenz des Naturrechts fuße, und gesagt, ichteilte ohne jeden

che Erklärungen wurden auch während der ersten Sitzungspe-
riode der UN-Konferenz über das Recht der Verträge abgege-
ben.
Der Verzicht aufdieAufnahme vonBeispielen indenWortlaut
des späteren Art.53 der Wiener Vertragsrechtskonvention be-
deutete folglich keine Absage andenzwingenden Charakter des Zweifel den Gedanken mit allen seinen Konsequenzen, daß

Selbstbestimmungsrechts i m Hinblick auf die während der Re- daktionsarbeiten erörterten Fälle. Vielmehr entsprach es dem Willen der Verfasser des Vertragswerkes, diese Frage offenzu- lassen, damit der Inhalt des Jus cogens inder Staatenpraxis und in der Rechtsprechung der internationalenGerichte sich ausbil- den könne. Dieser Ansatz ist der richtige. Er ermöglicht unbe- schadet des eventuellen Vorhandenseins anderer Methoden zur inhaltlichen Bestimmung des Jus cogens eine dynamische Be- griffsbildung, die sich in Übereinstimmung mitden von der Ge- samtheitderinternationalenGemeinschaft zujedemZeitpunkt im Laufe ihrer historischen Entwicklungakzeptierten Kriterien und Prinzipien formt undentwickelt.

Die Grundidee des form- undwandelbaren Begriffsinhalts des Jus cogens alsAusfluß des Entwicklungsprozesses seiner ihn bil- denden und von der gesamten internationalen Gemeinschaft an- erkannten Konzeptionen findet insoweit ihren Niederschlag in der Wiener Konvention, als der Wortlaut des Art.53 statuiert, eine Norm des Juscogens könne nurdurch eine »spätere zwin- gende Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsna- tur« geändert werden. Eine gleiche Aussage ergibt sich aus Art.64.

heute das Selbstbestimmungsrecht der Völker einer der Fälle von Jus cogens sei.
Gemäß Art.53 der Wiener Konvention ist ein Vertrag nichtig, dem im Zeitpunkt seines Abschlusses eine »zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts« entgegensteht. Art.64 sagt aus, daß »sobald eine neue zwingende Norm des allgemeinen Völker- rechts entsteht, jeder zu dieser Norm in Widerspruch stehende Vertrag nichtig wird und erlischt«. Also wäre, wenn manmir zu- stimmt, daß das Selbstbestimmungsprinzip zum Jus cogens ge- hört,jeder Vertragnichtig,derimWiderspruchzuihmsteht.

V. Selbstbestimmung und Menschenrechte

Gegenwärtig wird der notwendige und enge Zusammenhang zwischen Selbstbestimmung undMenschenrechten und Grund- freiheitennichtmehrbestritten.ImJahre1948jedochwurdedie- ser Gedanke praktisch ignoriert, was dadurch bewiesen wird, daß in der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen das Prinzip der Selbstbestimmung der Völker keine Erwähnung findet. Zwölf Jahre später, 1960,wird inder >Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völ- ker^ ausgeführt, die Abhängigkeit der Völker durch fremde Un- terjochung, Beherrschung und Ausbeutung stelle eine Verweige- rung der Grundrechte des Menschen dar, sie stehe der Charta der Vereinten Nationen entgegen und behindere die Entwick- lung des Friedens und der friedlichen Zusammenarbeit. Die bei- den Internationalen Menschenrechtspakte proklamieren, wie schonerwähnt,inihremArt.1dasRechtallerVölkeraufSelbst- bestimmung.

Heute kann i n der Tat angesichts der internationalenGegeben-
heiten von niemandem mehr bestrittenwerden, daß das Selbst-
bestimmungsprinzip notwendigerweise dem Jus cogens zuzu-
rechnen ist. Dieser Gedanke, der dem Prinzip der Selbstbestim-
mung damit den höchsten Rang in der juristischen Hierarchie
zuweist, hat bereits begonnen, Eingang in die internationale
Rechtswissenschaft zufinden.Esistwichtighervorzuheben,daß
heute die Anerkennung der Existenz von Jus cogens als zwin-
gende Norm des allgemeinen Völkerrechts sich nicht nurinner-
halb einer bestimmten Strömung juristischen Denkens vollzieht,
sondern daß auch Autoren entgegengesetzterdogmatischer und
philosophischer Tendenzen sich dieser Auffassung angeschlos-
sen haben.
DieAusgestaltungdesSelbstbestimmungsrechtsalsJuscogens ralversammlungbestätigt.Damitwardieindenfünfziger Jah-

findet inder gegenwärtigen Doktrin starke Unterstützung.Zum einen wird vertreten, das Konzept des Jus cogens sei auch ein Bestandteil des Prinzips der Selbstbestimmung der Völker, zum anderen, dieses Recht sei Vorbedingung für die Ausübung und effektive Verwirklichung der Menschenrechte.

ren ablehnende Haltung eines beträchtlichen Teils des Schrift- tums überwunden, das dem Begriff der Selbstbestimmung der Völker den Rechtscharakter absprach oder wegen der grund- sätzlich andersartigen Beschaffenheit dieses >Rechtes der Völ- k e r gegenüber den Menschenrechten keine Möglichkeit einer Aufnahme in die beiden Internationalen Menschenrechtspakte sah.

Im Jahre 1976nahm die Völkerrechtskommission in ihren Ent-
wurf über die Staatenverantwortlichkeit einen Artikel auf, in
dem die Schaffung oder die Aufrechterhaltung kolonialer Herr-
schaft als schwerwiegende Verletzung einer für die Sicherung
des Selbstbestimmungsrechts derVölker wesentlichen interna-
tionalenVerpflichtungundalsinternationalesVerbrechen cha- übungderMenschenrechte aus,undinResolutionVIII dersel- rakterisiert wurde. Diese Bestimmung hatte ihren Ursprungin

dem Entwurf von Roberto Ago, der denBegriff desinternationa- len Verbrechens definierte als »schwerwiegende Verletzung ei- ner durch eine Regel des allgemeinen Völkerrechts begründete und von der Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit aner- kannten völkerrechtlichen Verpflichtung,die die Respektierung der Gleichheit u n d des Selbstbestimmungsrechts der Völker zum Inhalt hat«. Trotz der Abänderung des Wortlauts kann m a n davon ausgehen, daß die Völkerrechtskommission die Verlet- zung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als sehr ernsten Rechtsbruch und internationales Verbrechen qualifiziert und damit folglich stillschweigend anerkennt, daß das Prinzip der Selbstbestimmung einen der Fälle darstellt, die sich nach gegen- wärtigem Völkerrecht als Jus cogens qualifizieren lassen. Innerhalb der Unterkommission zur Verhütung von Diskrimi- nierung undfür Minderheitenschutz haben mehrere Experten

ben Konferenz wird auf den unabdingbaren Zusammenhang zwischen Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts undAn- erkennung und Beachtung der Menschenrechte Bezug genom- men.

Wie aus den angeführten Texten und insbesondere aus der Prä- ambel der beiden InternationalenMenschenrechtspakte hervor- geht, stellt die effektive Ausübung des Selbstbestimmungsrechts eine der Voraussetzungen dar, u m jedermann den Genuß seiner wirtschaftlichen, sozialen u n d kulturellen sowie bürgerlichen und politischen Rechte zu gewährleisten. Auch die Menschen- rechtskommission hat in ihrer Resolution 3(XXXI) vom 11.Fe- bruar 1975 die besondere Bedeutung der Anwendung des Grund- satzes des Rechts der Völker auf Selbstbestimmung für die Ver- wirklichung der Menschenrechte hervorgehoben. I n ihren Ver- handlungen wurde wiederholt auf die Bedeutung der Selbstbe- stimmung als Recht des einzelnen undals notwendige Voraus-

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Die Einfügung einer Bestimmung über das Selbstbestimmungs- recht der Völker i n die beiden Menschenrechtspakte wurde 1952 durch die Menschenrechtskommission inÜbereinstimmung mit der Resolution 545(VI) der Generalversammlung entschieden und später,imJahre 1955,durch den3.Hauptausschuß derGene-

Die Teheraner Proklamation der Internationalen Menschen- rechtskonferenz von 1968 führt inZiffer 9 aus, die Fortdauer des Kolonialismuswirkesichnegativ aufdieAnerkennungundAus-

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Setzung für die Ausübung der anderen Rechte u n d Freiheiten des Menschen hingewiesen. Aus diesen Texten ergibt sich die Konzeption der Selbstbestimmung als Individualrecht, als uner- läßliche Vorbedingung für die genuine Existenz der anderen Rechte und Freiheiten des Menschen und als Recht der kolonia- ler undFremdherrschaft unterworfenen Völker.

Es istwichtig zu versuchen, das Selbstbestimmungsrecht als In- dividualrecht auszugestalten. Zwar hat die Menschenrechts- kommission es als solches bezeichnet, jedoch hat sie keine Be- gründung für dieses Kriterium geliefert undden Selbstbestim- mungsbegriff als individuelles Recht nicht von dem Selbstbe- stimmungsbegriff als Voraussetzung für die Effektivität der an- deren Rechte und Freiheiten differenziert.

Das Selbstbestimmungsprinzip ist ein Individualrecht insoweit, als es jedem einzelnen den Anspruch darauf vermittelt, daß das Volk, dem er angehört, seinen politischen, wirtschaftlichen, so- zialen und kulturellen Status frei bestimmen kann. Die General- versammlung der Vereinten Nationen hat diesem Gedanken durch die ausdrückliche Anerkennung des Rechts eines jeden, für das Selbstbestimmungsrecht seines unterdrückten Volkes zu kämpfen, Rechnung getragen.

Außerdem aber ist die Wirksamkeit des Selbstbestimmungs- rechts eines Volkes Bedingung undVoraussetzung für die Exi- stenz der anderen Rechte und Freiheiten des Menschen. Nurein Volk, das seine Unabhängigkeit errungen hat, kann ohne fremde Beeinträchtigung die zur Gewährleistung des Genusses aller Rechte notwendigen Maßnahmen durchführen. Menschen- rechte und Grundfreiheiten haben daher nur Bestand, wenn auch die Selbstbestimmung Bestand hat.

Das Selbstbestimmungsprinzip istnaturgemäß undingewisser Weise grundlegend ein Recht der Völker unter kolonialer und Fremdherrschaft. Seine Charakterisierung als Kollektivrecht, dessen Träger die Völker sind, bringt jedoch vielfältige Schwie- rigkeiten der Präzisierung und Abgrenzung des Konzepts >Volk< mit sich.Abgesehen jedoch von solchen Schwierigkeiten ist das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegenwärtig eine der wich- tigsten Errungenschaften undhat durch die Möglichkeit seiner Geltendmachung und Anerkennung die internationale Gemein- schaft, wie sie die Welt noch vor wenigen Jahren kannte, radikal verändert.

VI. Schlußbemerkungen

Am Beispiel des Selbstbestimmungsrechts der Völker lassen sich ohne Zweifel die konstitutiven Elemente des gegenwärtigen

Völkerrechts u n d die politischen Realitäten unserer Zeit besser charakterisieren undmitgrößerer Präzision bestimmen. OhnedieEinsichtindenInhaltdiesesRechts,ohnedieEinbezie- hung seiner Auswirkung auf das gesamte Völkerrecht der Ge- genwart und ohne Verständnis dafür, wie durch seine Anerken- nung und Anwendung der Niedergang des Kolonialismus mit dem Entstehen derWelt, inderwirheute leben, einherging, istes nicht möglich, den Wandel zu erfassen, den Völkerrecht und Völ- kergemeinschaft i m letzten Vierteljahrhundert durchgemacht haben.

Man muß sich jedoch dessen bewußt sein, daß dieser Prozeß der Änderung undEntwicklungdes Völkerrechts nicht beendet ist. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker m i t seiner ständigen Wirksamkeit hat auch in Zukunft noch eine grundlegende Rolle zu übernehmen. Ihmistes aufgegeben, denVerletzungen desIn- terventionsverbotes entgegenzutreten, die wirtschaftliche und soziale EntwicklungininternationalerSolidarität und Koopera- tion sicherzustellen unddie neuen politischen und wirtschaftli- chen Formen des Neokolonialismus unddes Neoimperialismus zu beseitigen.

46 Staaten gehören heute dem Commonwealth of Nations* (bis1951das>BritishCommon- wealth<) an. Vor einem halben Jahrhundert, als die >Domi- nions< die volle Unabhängig- keit erhielten, löste es das >Bri- tish Empire< ab.Nicht alle, aber doch die meisten der ehemali- gen britischen Kolonien haben sich dem Commonwealth ange- schlossen. Der weltpolitische Stellenwert dieses lockeren Verbandes ist allerdings nicht sehr hoch zu veranschlagen. Sein Generalsekretär war Ende 1981 unter den Kandidaten für das

A m t des UN-Generalsekretärs.
The Right to Self-Determination. Implementation of United Nations Resolu- tions. Study prepared b y Hector Gros Espiell, Special Rapporteur of the Sub- Commission on Prevention of Discrimination andProtection of Minorities, UN-Doc. E/CN.4/Sub.2/405/Rev.l (veröffentlicht i n spanischer, französischer, englischer, russischer u n d arabischer Sprache). Auch als UN-Publ. E.79. xrv.5.

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Alle unter Anm.l und 2 aufgeführten Veröffentlichungen sind mit ausführli- chen bibliographischen Angaben versehen, auch werden die Texte der ent- sprechenden Resolutionen wiedergegeben.DerBericht fürdieVereinten Na- tionen enthält außerdem einen ausführlichen bibliographischen Teil über das Thema des Selbstbestimmungsrechts (UN-Publ. E.79.XIV.5, S.70-86). Vgl.hierzu Franz Nuscheier, DieEntkolonisierungsbilanz derVereinten Na- tionen. Einskeptisches Nachwort, VN6/1981S.197.

V o m 14.12.1960; deutsch i n V N 4/1962 S.117.
V o m 24.10.1970, deutsch i n V N 4/1978 S.138ff. UN-DocA/Res/3281(XXIX) v. 12.12.1974; deutsch inVN4/1975 S.117ff.

Die Mitgliedstaaten des

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